Stimmen zum Buch
Nendzas neue Gedichte vollführen im Wesentlichen zwei Bewegungen: Zum einen den geschichtsarchäologischen Weg nach unten, in die Tiefenschichten der Erde, wie im Zyklus Abraum. Zum anderen aber ein Emporfliegen ins Offene, hin zu den Zeichen des Glücks, wie sie sich im titelgebenden Gedicht vom Auffliegenden Gras manifestieren ...
In der Art eines konzentrierten Nature writing entwirft der zweite Zyklus etwa ein traditionsbewusstes Gespräch über Bäume, das berühmte Vorläufer in Literatur- und Kunstgeschichte durchaus im Blick hat. In diesem Arboretum-Kapitel findet sich auch ein besonders faszinierendes Gemäldegedicht, eine kongeniale Anverwandlung von Paula Modersohn-Beckers Ölbild Kleines Kind mit Birkenstamm: allein hineingestellt / ins himmelgraue Freilandhell umklammert / seine Hand das Holz: ein Stab / in dem schon früh das Kümmern wächst.
Gegen Ende kommt die Frage auf: "Was wird aus der Windstille jetzt?" Sie bezeichnet den Augenblick der Erwartung, in dem Nendzas kunstvoll gewebte Gedichte die Dinge in ein neues Licht rücken, so dass sie von sich aus zu strahlen beginnen.
Der Tagesspiegel, M. Braun
Hier stand das Universum / eines Walnussbaums, heißt es in Jürgen Nendzas neuem Gedichtband Auffliegendes Gras, in dem er bittere Realität mit tief empfundener Zuneigung für die Welt verbindet. Archäologische Funde legen die Spur zu Menschen früherer Kulturen, zu Verlust, Gedanken an den Krieg, Leben und Sterben. Zugleich bietet die Natur den Zugang zu meditativer Gedankenwelt, bietet ein wucherndes, wummerndes Summen. Mit fantasievoller Fachlichkeit nähert er sich dabei Bäumen, lässt aus deren Botanik Bilder erwachsen. ... Nendzas Gedichte sind herausfordernd, aber lohnend.
Aachener Zeitung, S. Rother
Im neuen Band Auffliegendes Gras heißt der erste Gedichtzyklus Abraum. Er ist eine überaus genaue poetische Vergegenwärtigung der verschwindenden Landschaften und Dörfer in den Gebieten des Rheinischen Braunkohletagebaus.
Im Arboretum, dem zweiten Abschnitt des Bandes, sind Silberweide und Espe, Schwarz-Pappel und Weißbirke, Stieleiche und Rotbuche, Feldulme und Eberesche, Rosskastanie und Esche versammelt. Statuarisch wirken sie nicht ... Die Verse zeichnen nicht die Umrisse, die Physiognomie der Bäume nach, als müssten sie ein Bestimmungsbuch illustrieren, sondern erkunden ihre Lebenswelt.
Erst im letzten Abschnitt des Bandes, Kretisches Gelände, taucht die Titelwendung auf. Es herrscht Windstille im Café Alyggos in der Mirabellobucht, als der Gast geht: »Du stehst auf. Spatzen stauben hoch, / Gedanken an auffliegendes Gras.« Mag sein, es ist die Stunde des Pan. Denn es gibt bei Jürgen Nendza auch die diskrete Anwesenheit der Mythologie. Sie trägt dazu bei, dass sich dieser schmale, rüttelverdichtete Band nur schwer auslesen lässt.
Süddeutsche Zeitung, Lothar Müller (April 2022)
So, wie die großen Schaufelradbagger an den Erdkrusten entlang schaben, so gräbt Jürgen Nendza mit seiner Sprachschaufel in der Welt und sieht sich Erdschichten an und natürlich auch Wortschichten. »Gebundene / Schwebstoffe, Lehm, // schaufelnde Schaufeln. / Immer bleibt etwas / stehen in der Luft.« In dem kleinen Zitat hat man gewissermaßen die ganze Poetik von Jürgen Nendza in Reinform. Schwebstoffe, Lehm, das sind sozusagen die Aggregatzustände, im Lehm sind die Bodenschichten, die Schwebstoffe sind die poetische Einbildungskraft, die sich entzündet und dann schwebt. Die schaufelnden Schaufeln sind das Verfahren, das sich immer auch selber bedenkt. Und dann hat man die Reste, die in der Luft stehen bleiben, das sind die Lücken im Sprechen, das, was die Zeichen der Sprache nie einlösen können.
Es gibt auch einen sehr schönen Zyklus, der nennt sich Arboretum. Eine Sammlung von Baumgedichten ... Und es gibt einen Zyklus auch von ganz kleinen Gedichten, eine Sammlung eher, die heißt Was zusammenfällt. Das sind Augenblicksbilder, die sich an dem Rascheln einer Amsel oder an einem Klopfen im Ohr entzünden können. Man sieht an diesem kleinen Stücken, was eigentlich die wirklich schöne Verskunst von Jürgen Nendza ausmacht: »... unter deinem Rippenbogen / Schlag für Schlag eine Andacht / ins Fließen. Manchmal fliegen Vögel / still durch uns hindurch. Hier, nimm / diesen Zweig, er ist voller Wälder«.
DLF Kultur (Mai 2022), Nico Bleutge zu Auffliegendes Gras
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